Aus der Pfarrkonferenz: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Jüdisches Leben - Pfarrkonferenz
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 „Juden und Jüdinnen haben nicht nur seit 1700 Jahren hier gelebt, sondern sie haben die Geschichte all dessen, was später einmal Deutschland wurde, mitgeprägt.“ Das machte Dr. Axel Töllner, Beauftragter für den jüdisch-christlichen Dialog, in der Pfarrkonferenz im Mai deutlich.

Als Beispiel nannte er den jüdischen Gelehrten Elia Levita Germanicus, der am 13. Feb 1469 in Ipsheim geboren wurde und in Neustadt aufwuchs. Der herausragende Sprachwissenschchaftler und Schriftsteller lehrte Reformatoren wie Andreas Osiander und ermöglichte so die deutsche Übersetzung der gesamten Bibel.

Weil Menschen jüdisch waren, mussten sie sich oftmals gegen Vorbehalte, Unterstellungen und Widerstände in einer von christlicher Mehrheit geprägten Umgebung behaupten. Wissen wir, dass die Gebrüder Adolf und Ignaz Bing Ende des 19. Jahrhunderts in Nürnberg eine Fabrik für Metallspielzeug betrieben und so maßgeblich zum Ruf Nürnbergs als Spielzeugstadt beitrugen? Dass der Würzburger Joel Jakob von Hirsch entscheidend dazu beitrug, dass das Eisenbahnnetz im Königreich Bayern ausgebaut wurde? Dass wir Kurt Eisner den „Freistaat“ und das Frauenwahlrecht verdanken? Dass die gebürtige Erlangerin Emmy Noether die wichtigste Mathematikern des 20. Jahrhunderts ist? Sie wurde 1933 von den Nazis von der Universität in die Emigration in die USA vertrieben. Und die Papiertaschentücher, die wir heute noch als „Tempo“ bezeichnen haben die Brüder Oskar und Emil Rosenfelder in Nürnberg erfunden. Vom Zwangsverkauf ihrer Firma im Zuge der sogenannten „Arisierung“ profitierte besonders Quellegründer Gustav Schickedanz. Und dann ist da noch die gebürtige Nürnbergerin Yael Duesel, die als erste Rabbinerin in Deutschland ordniert wurde und Ärztin und Rabbinerin in Bamberg ist.

Fragen wir nach Jüdinnen und Juden und nach dem Verhältnis zu uns als Christinnen und Christen führt uns das in die Mitte unseres Glaubens. Denn Jesus, den wir als Sohn Gottes bekennen, war Jude. Das war der Kirche nicht immer genehm. Sie „schämte sich des Alten Testaments, sich schämte sich der Apostel, ja, im Grunde genommen schämte sie sich des Davidsohn selbst. Sie hätte sich am liebsten in (…) einen zeitlosen Mythos geflüchtet, in dem Christus nur noch als Gestalt, als Träger dieser Heilands- und Erlöseridee fungierte.“– so bringt es der Theologe Hans-Joachim Iwand, Begründer der Göttinger Predigtmeditationen, im Jahr 1946 auf den Punkt. Viele „Vergegnungen“ hat es nach Martin Buber im Miteinander zwischen Christen und Juden gegeben. Auch aktuell haben antijüdische Mythen Konjunktur. QAnon spricht von „jüdisch” gesteuerten Eliten, die das Blut von Kindern anzapfen. Es ist die wohl langlebigste und bizarrste Beschuldigung gegen Menschen jüdischer Herkunft. Doch diese Absurditäten werden in einer Zeit der Orientierungslostikeit nur zu gern wieder geglaubt.

Was wir heute jedoch brauchen ist kein Gegeneinander, sondern die gegenseitige Wertschätzung. Keine Vereinnahmung des Alten Testaments für das christliche Bekenntnis, sondern die Kraft der Wurzel – und damit der Verbundenheit. „Denn Gott war einmal ein jüdischer Fischer gewesen“, so betont es der Historiker Raphael Strauss, „seine Mutter eine jüdische Zimmermannsfrau, (…) seine Lehre jüdischen Ursprungs.“ Damit hoffte er auf eine gemeinschaftliche Zukunft, die Feindbildprojektionen hinter sich gelassen hat und die Vielfalt feiert.

Wer sich also für den jüdisch-christlichen Dialog einsetzen will, dem sei das „Neue Testament – jüdisch erklärt“ ans Herz gelegt, so Axel Töllner am Schluss seines Vortrags. Die Herausgeber Amy-Jill Levine und Marc Zvi Brettler wollen damit neue Blicke und Horizonte eröffnen. Für ihn selbst sei es fast ein Wunder, dass es dieses Buch gibt!

Ab Oktober 2021 ist „Das neue Testament -jüdisch erklärt“ erhältlich.

 

Pfarrerin Heidi Wolfgruber